Wer bin ich? Eine scheinbar einfache Frage, auf die es keine schnelle Antwort gibt. Man muss schon tiefer schürfen und kommt dabei unweigerlich zum Thema „Selbsterkenntnis“. Ein bedeutungsvolles Wort, das sogleich ein ganzes Bündel an weiteren Fragen aufwirft: Lebe ich mein Leben bewusst und selbstbestimmt? Und wenn nicht, wie lässt sich das erreichen? Wie reagiere ich auf bestimmte Situationen? Wie gehe ich mit Kritik um? Wie erkenne ich meine Stärken und woher weiß ich überhaupt, welches Potenzial ich habe?Was wir auf dem Weg zur Selbsterkenntnis am nötigsten brauchen, ist Selbstvertrauen. Und damit der Glaube an uns selbst und daran, dass wir in der Lage sind, unser Leben zu meistern. Meist lassen wir uns jedoch von vollkommen gegenteiligen Glaubenssätzen leiten. „Ich bin nichts wert. Ich kann das nicht. Ich schaffe das nicht. Ich bin nicht perfekt genug.“ So oder so ähnlich lauten die Mantren, die wir so lange verinnerlichen, bis wir das Vertrauen in uns selbst und in das Leben verlieren.
Selbsterkenntnis hat damit zu, beide Seiten wahrzunehmen und zu akzeptieren – die sonnigen, aber auch die schattigen. Oft wollen wir mit unserer Schattenseite nichts zu tun haben. Wir projizieren sie auf die Außenwelt und ärgern uns bei anderen Menschen genau über jene Eigenschaften, die tief vergraben in uns selbst liegen. Mit der Kraft unseres Geistes kreieren wir unsere eigene Wirklichkeit. Das sogenannte Spiegelgesetz besagt, dass jeder Mensch, dem wir begegnen, jede Situation, in der wir uns wiederfinden, sowie unsere gesamte Umgebung das Abbild unseres Bewusstseins sind. Demnach können uns folgende Sichtweisen helfen, uns selbst zu erkennen: Alles, was mich an dem
anderen stört, unterdrücke ich in mir selbst. Alles, was der andere an mir kritisiert und mich berührt, hat mit mir zu tun. Alles, was der andere an mir kritisiert und mich nicht berührt, hat nichts mit mir zu tun. Alles, was ich an anderen bewundere, ist in mir selbst, aber ich lebe es noch nicht aus. Im Leben geht es keinesfalls darum, immer nur gut und perfekt zu sein. Auch geht es nicht darum, stets in völliger Harmonie zu leben. Das wäre nicht nur eine „Selbst“Lüge, sondern würde auch gegen die Lebensprinzipien Yin und Yang verstoßen. Beides sind die gegensätzlichen Teile eines Ganzen. Das eine kann nicht ohne das andere existieren. Die Prägungen in der Kindheit und die Erfahrungen, die wir im Leben gemacht haben, machen uns zu der Person, die wir heute sind. Wir müssen uns eingestehen, dass diese Person gute und schlechte Eigenschaften, Stärken und Schwächen sowie Sehnsüchte und Fehler hat.
Die sensible Beobachtung unseres Selbst gibt uns die großartige Gelegenheit, unser wahres Ich zu erkennen – ganz ohne unsere Kindheitserfahrungen, ohne die erlernten Muster und festgefahrenen Glaubenssätze. Durch aufrichtige Ehrlichkeit und bewusste Beobachtung können wir den doch meist schweren Mantel der Vergangenheit ablegen
und müssen uns nicht länger damit identifizieren. Allerdings umgehen wir diesen unbequemen Prozess nur allzu gerne, solange es uns gut geht. Unserem Lebenssinn widmen wir uns meist erst dann, wenn uns Krisen, Schicksalsschläge oder Krankheit zwangsläufig den Weg der Selbsterkenntnis gehen lassen. Ja, es verlangt viel Mut, nach innen zu schauen und sich nicht beirren zu lassen – weder von dem, was man selbst glaubt zu sein, noch von den Meinungen anderer. Die genaue Beobachtung ist erst der Anfang. Denn es gilt auch, die körperlichen Empfindungen und die Gefühle, die dadurch an die Oberfläche kommen, bewusst wahrzunehmen. Erst durch die Zuordnung körperlicher Empfindungen wie Druck, Stechen oder Hitze sowie das Verstehen dieser Gefühle, macht es uns möglich, diese auch loszulassen. Unser Ziel muss es sein, uns von Abhängigkeiten aller Art zu lösen sowie authentisch und frei von Urteilen zu leben. Es liegt in unserer Eigenverantwortung, uns nicht länger von der Vergangenheit hypnotisieren zu lassen und Klarheit bei der Sicht auf unser Selbst zu schaffen.
...glaubt an sich und erlaubt sich, Fehler zu machen.
...nimmt sich Zeit für sich selbst, er weiß, was ihm gut tut und kennt seine Grenzen.
...steht zu seinen Stärken und Schwächen.
...ist sich selbst treu und sorgt für sich und seine Bedürfnisse.
...achtet und respektiert seine Gefühle und Empfindungen
...kann liebevoll Nein sagen, wenn er nicht hinter einer Sache steht – ohne schlechtes Gewissen.
...übernimmt die Verantwortung für alles, was in seinem Leben passiert.
...erlaubt es sich, mit Geduld und Disziplin seine Ziele und Sehnsüchte zu erforschen.
Ein Mensch, der an sich glaubt und die tiefe Überzeugung hat, alles in sich zu haben, was er braucht, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen – so lautet die wohl bestmögliche
Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“. Nur zu leicht wäre es, die Verantwortung auf unsere Eltern, unsere Erziehung und unsere Vergangenheit zu schieben. Stattdessen sind wir gefordert, durch die intensive Erforschung unseres Selbst, das Unbewusste ans Licht zu holen sowie Glaubenssätze, Begrenzungen und Blockaden, die uns nicht dienlich sind, zu erkennen und Stück für Stück loszulassen. Dennoch: In unserem Leben wird es immer Hürden und Hindernisse geben. Nur wer die Existenz beider Energien – jene, die uns tragen, aber auch jene, die uns im Wege stehen – annehmen kann, wird seinen wahren Wesenskern zur Entfaltung bringen.
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Klaus (Sonntag, 23 August 2015 13:52)
wie wahr!